Neu erschienen: „Ernährungspraxis Onkologie“
Zum Themenkomplex von Ernährung, Onkologie und Krebs gibt es eigentlich schon jetzt jede Menge gute und schlechte Literatur. Mit der „Ernährungspraxis Onkologie“ hat sich nun ein Team aus renommierten Autorinnen und Autoren um Nicole Erickson ebenfalls diesem Thema gewidmet. Lohnt sich die Anschaffung?
Klare Gliederung in handlichem Format
Auf den ersten Blick kommt dieses Buch viel kleinformatiger daher, als man bei diesem großen Titel vielleicht erwarten würde. Nach der Einleitung zu den Prinzipien der Ernährungstherapie bei onkologischen Erkrankungen folgt die systematische Darstellung von vier für die onkologische Ernährungstherapie gut zugänglichen Bereichen (Allgemeinbefinden, Gewichtsveränderungen, oropharyngeale und gastrointestinale Beschwerden). Daran schließen sich Ernährungsempfehlungen bei Mamma-, Prostata- und Kolorektalkarzinom an. Das letzte Kapitel behandelt häufig gestellte Fragen der onkologischen Ernährungsberatung: Sinn und Unsinn diverser „Krebsdiäten“, Risiko- und Schutzfaktoren in der Ernährung sowie Bedeutung der körperlichen Aktivität.
Multiprofessionelle Sichtweise
Fachlich ist das Buch durchgehend auf dem neuesten Stand. Die Multiprofessionalität des Autorenteams zeigt sich sehr gut darin, dass praktisch-diätetische, ernährungswissenschaftliche, medizinische, pharmakologische und sogar sportwissenschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Insbesondere bei den diätetischen Empfehlungen hebt sich das Buch erfrischend von anderen Publikationen ab, indem vermeintlich „sicheres“ Erfahrungswissen hinterfragt und nicht einfach unkritisch weitergegeben wird (z. B. Ingwer bei Übelkeit, Ballaststoffe bei Obstipation usw.). Dazu gehört auch, dass die dargestellten Daten mittels Evidenzgraden kritisch eingeordnet werden, statt sie in alter Lehrbuchmanier als Faktum zu präsentieren.
Wo die wissenschaftliche Datenlage widersprüchlich ist, wird dies explizit so benannt – auch das ein echter Gewinn. Sehr gut differenziert wird außerdem zwischen in-vitro-, Tier- und Humanstudien. Wünschenswert wäre diese Konsequenz auch in der Übersichtstabelle zu den Effekten sekundärer Pflanzenstoffe, wo für zahlreiche Substanzen eine „antioxidative Wirkung“ genannt wird, ohne die Datenquelle zu nennen oder die Dosisabhängigkeit zu hinterfragen.
Hinweise zu Arzneimitteln ausbaufähig
Sehr zu loben ist der Ansatz, in den jeweiligen Anamnesekapiteln auch die Arzneimittelanamnese zu berücksichtigen. Dieser Aspekt sollte in zukünftigen Auflagen ausgebaut werden, denn wenn jetzt zur Beurteilung des Hydratationsstatus nach „Thiazolidindionen“ gefragt wird, dann ist sicherlich den wenigsten Lesern klar, welche Wirkstoffe damit gemeint sind. Für nicht-ärztliche Anwender bleibt hier auch unklar, was aus dieser Arzneimittelanamnese folgen soll.
Die Interaktionen zwischen den Ernährungsinterventionen einerseits und der onkologischen Arzneimitteltherapie spielen in der Praxis eine sehr große Rolle, kommen aber in dem Buch praktisch nicht vor. Dies betrifft zum Beispiel potenziell kritische Wechselwirkungen von Mikronährstoffpräparaten und Antioxidanzien mit der Chemotherapie – diese Thematik findet sich in anderen Büchern ausführlicher.
Kaum Hinweise zu Mikronährstoffen
Zudem liegt der Fokus des Buches auf der Ernährung bei den drei Karzinomarten Mamma-, Prostata- und Kolorektalkarzinom; für andere Tumorentitäten ist das Buch eine weniger geeignete Quelle. Die gängigsten „Krebsdiäten“ werden zwar diskutiert, aber die Informationen zur Studienlage von Mikronährstoffen, sekundären Pflanzenstoffen und Supplementen bleibt oberflächlich. Wer sich für diese Themen im Detail interessiert, ist bei „Krebs und Ernährung“ von Siegfried Knasmüller besser aufgehoben.
Gelungene Verbindung von Wissenschaft und Praxis
Überaus positiv fällt die gelungene Verbindung von wissenschaftlicher Fundierung und Praktikabilität auf: Auf den exakten Quellennachweis wurde großer Wert gelegt, und die Quellen sind relevant und aktuell. Die Lesbarkeit wird dadurch ebenso wenig beeinträchtigt wie die Praxisrelevanz, da sehr viele Praxisempfehlungen gegeben und Interventions-Checklisten (auch zum separaten Download) bereitgestellt werden.
Insgesamt ist dieses Buch ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die Ernährungstherapie onkologischer Patienten optimal gestaltet werden kann, wenn es zur multiprofessionellen Verbindung von Praxiswissen und wissenschaftlicher Expertise kommt. Diese Synthese von Multiprofessionalität und evidenzbasierter Praxis wird zwar in der gesamten Ernährungsmedizin immer wieder gefordert, ist im therapeutischen Alltag jedoch nach wie vor eine Rarität.
Das Autorenteam zeigt beispielhaft, dass es genau so funktionieren kann. Dem Buch wäre zu wünschen, dass es bei allen, die mit ernährungstherapeutischen Interventionen bei onkologischen Patienten zu tun haben, weite Verbreitung findet und als echtes Praxisbuch für die konkrete Beratung genutzt wird. Wer in der täglichen Praxis den Fokus auf den Tumorkachexie legt, ist mit dem aktuellen Werk von Haehling et al. besser aufgehoeben.
Fazit: lohnenswert für die ernährungstherapeutische Praxis
Das multiprofessionelle Autorenteam um Nicole Erickson hat mit dem Titel „Ernährungspraxis Onkologie“ ein Werk vorgelegt, das durch fachliche Qualität, stringente Konzeption und die gelungene Verbindung von Evidenzbasierung und Praxistauglichkeit überzeugt. Von einigen kleineren Schönheitsfehlern abgesehen lohnt sich die Anschaffung für alle, die im Kontext der onkologischen Ernährungstherapie Wert auf evidenzbasierte Interventionen und Qualitätssicherung legen.
Erickson/Schaller/Berling-Ernst/Bertz „Ernährungspraxis Onkologie“, Taschenbuch, 288 Seiten, 1. Auflage, Schattauer Verlag 2016. 29,99 EUR.
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