Darmkrebs aus dem Wasserhahn: Nitrat im Trinkwasser
In der Deutschen Trinkwasserverordnung ist für Nitrat ein Grenzwert von maximal 50 mg pro Liter festgelegt. Nun zeigt eine dänische Studie: Bereits deutlich unterhalb dieses Grenzwertes gibt es einen Zusammenhang zwischen Nitratgehalt und Darmkrebsrisiko. Vermutlich ist der aktuelle Grenzwert zu hoch angesetzt.
Europaweit einheitliche Grenzwerte
Nitrate werden in der Landwirtschaft als Mineraldünger verwendet; in Böden und Gewässern werden sie außerdem durch Bodenbakterien aus organischen Stickstoffverbindungen gebildet (Nitrifikation). Hauptquelle dieser organischen Stickstoffverbindungen ist u. a. sog. “Wirtschaftsdünger”, besser bekannt als Gülle. Auf diesem Weg gelangen Nitrate auch in den Wasserkreislauf.
Die Trinkwasserversorgung wird in Deutschland zu ca. 70 % aus Grund- und Quellwasser gedeckt. Die restlichen 30 % des Trinkwassers stammen aus Oberflächengewässern wie See- und Talsperren, wo das Wasser direkt entnommen oder über Grundwasser-Anreicherung und Uferfiltration gewonnen wird.
Aus Gründen des Gesundheitsschutzes gibt es gesetzliche Grenzwerte für den Nitratgehalt im Trinkwasser. Auf Grundlage der EU-Grundwasserrichtlinie 2006/118/EG (GWRL) wurde in der deutschen Grundwasserverordnung (GrwV) ein Schwellenwert von maximal 50 mg Nitrat pro Liter festgesetzt. Daraus ergibt sich die praktische Konsequenz, dass Maßnahmen zur Senkung der Nitratbelastung erfolgen müssen, sobald dieser Schwellenwert im Grundwasser überschritten ist.
Auch die EU-Trinkwasserrichtlinie sieht als Qualitätsstandard (Parameterwert) für Nitrat eine maximale Konzentration von 50 mg pro Liter vor; dieser Wert wurde von der deutschen Trinkwasserverordnung als verbindlicher Grenzwert übernommen.
Sehr hohe Nitrat-Belastung in Deutschland
Insgesamt liegt der Nitratgehalt im Grundwasser in Deutschland bei ca. 18 % der repräsentativen Messstellen oberhalb dieses Grenzwertes (UBA 2018). Bei Messstellen mit Einzugsgebiet von landwirtschaftlichen Nutzflächen wird der Nitratgehalt in ca. 28 % der Messtellen überschritten. Nach Auskunft des Umweltbundesamtes sind 27 % der insgesamt 1.200 deutschen Grundwasserkörper wegen Überschreitung des Nitrat-Schwellenwertes von 50 mg/l in einem schlechten chemischen Zustand (Übersichtskarten und Details hier).
Krebsrisiko bei Grenzwerten nicht berücksichtigt
Nitrat selbst ist für den menschlichen Organismus weitgehend unbedenklich. Allerdings wird Nitrat im Körper zu Nitrit und N-Nitroso-Verbindungen umgewandelt, die ihrerseits als krebsauslösend (karzinogen) bekannt sind. Allerdings: Grundlage der Festsetzung des Nitrat-Grenzwertes auf max. 50 mg/l ist nicht das Krebsrisiko durch eine lebenslange Exposition, sondern die Vermeidung der Akuttoxizität bei Säuglingen. In den ersten Lebensmonaten reagieren Säuglinge besonders empfindlich auf Nitratzufuhr: Das aus dem Nitrat gebildete Nitrit schränkt die Sauerstoffaufnahme des Hämoglobins ein, wodurch es zur Gesundheitsgefahr für den Säugling (sog. Säuglingszyanose, “blue infant syndrome”) kommen kann. Zur Zubereitung von Säuglingsnahrung sollte daher auch möglichst nitratarmes Wasser (< 10 mg/l) verwendet werden.
Basis der Grenzwert-Berechnung für Nitrat im Trinkwasser ist damit die Abwehr von Gesundheitsgefahren für Säuglinge. Das langfristige Krebsrisiko für Erwachsene spielt dabei bislang keine Rolle, obwohl der Zusammenhang zwischen Nitrat-Belastung und Krebsrisiko seit Langem bekannt ist. Dänische Wissenschaftler haben nun analysiert, ob es bereits bei Nitrat-Konzentrationen unterhalb des 50 mg/l-Grenzwertes Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko gibt.
Darmkrebs-Risiko schon unterhalb des Grenzwertes erhöht
In der aktuell im International Journal of Cancer publizierten Studie (Int J Cancer 2018; online 23. Februar) hat das Team um Jörg Schullehner von der Universität Aarhus in einer bevölkerungsbasierten Studie untersucht, in welchem Zusammenhang die langjährige Nitrat-Exposition über Trinkwasser mit dem Darmkrebsrisiko steht. Dazu wurden die Daten des dänischen Gesundheitsregisters “Danish Civil Registration System” herangezogen und ausgewertet.
Auf Grundlage der Trinkwasseranalysen sowohl von öffentlichen Wasserwerken als auch von privaten Brunnen konnte so die durchschnittliche Nitratbelastung für insgesamt 2,7 Millionen Erwachsene zwischen 1978 und 2011 berechnet werden. Im Rahmen des Studienzeitraums wurde bei 11.952 Menschen ein kolorektales Karzinom, ein Kolonkarzinom oder ein Rektumkarzinom diagnostiziert.
Und tatsächlich zeigte sich ein eindeutiger Zusammenhang: In der Personengruppe mit der höchsten Nitrat-Belastung (≥ 16,75 mg/l) war das Risiko für ein Kolorektalkarzinom um fast 20 % höher als in der Personengruppe mit der geringsten Nitrat-Belastung (< 0,69 mg/l) (Hazard Ratio 1,16, 95%-Konfidenzintervall 1,08-1,25). Ähnlich sahen auch die Ergebnisse für das Kolonkarzinom und das Rektumkarzinom aus.
Ein Aspekt sollte dabei besonders aufmerksam machen: Der Risikoanstieg für das Auftreten von Kolorektal- und Rektumkarzinomen war bereits ab einer Nitrat-Konzentration ≥ 3,87 mg/l statistisch signifikant, der Risikoanstieg für das Auftreten des Kolonkarzinoms ab einer Nitrat-Konzentration ≥ 9,25 mg/l. Beide Werte liegen damit erheblich unter dem erlaubten Grenzwert der Trinkwasserverordnung von 50 mg/l.
Grenzwert sollte dringend nach unten korrigiert werden
Insgesamt sind die Ergebnisse der aktuellen Auswertung eindeutig: Zwischen der Nitrat-Belastung des Trinkwassers und dem individuellen Darmkrebsrisiko gibt es einen starken statistischen Zusammenhang. Eine derartige Studie liefert zwar keinen direkten Beweis für eine unmittelbare Ursache-Wirkungs-Beziehung, doch die Indizien dafür sind ziemlich eindeutig: Die gewählte Methodik der dänischen Wissenschaftler ist gut und statistisch robust, der Zusammenhang von Krebsrisiko und Nitratbelastung ist aus zahlreichen toxikologischen Studien bekannt, und vor allem: die aktuelle Auswertung zeigt einen direkten dosisabhängigen Zusammenhang. Das heißt, je höher die Nitrat-Konzentration im Trinkwasser, desto höher auch das individuelle Darmkrebs-Risiko. Gerade diese eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung ist ein starker Hinweis auf einen tatsächlich vorhandenen kausalen Zusammenhang.
Fazit: Grenzwerte senken, individuelle Nitrat-Belastung reduzieren
Völlig zurecht betonen die Studienautoren deshalb, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte vermutlich deutlich zu hoch angesetzt sind. Der Risikoanstieg für eine Darmkrebs-Erkrankung war weit unterhalb der geltenden Grenzwerte signifikant. Dass dieser Zusammenhang bislang noch nicht aufgefallen ist, verwundert nicht, denn schließlich wurden die Grenzwerte ja allein auf Basis der Vermeidung von Akut-Toxizitäten bei Säuglingen aufgestellt, ohne die Risiken der Langzeitexposition zu berücksichtigen.
Auch in Deutschland liegen die üblichen Nitrat-Konzentrationen im Trinkwasser in einem Konzentrationsbereich, für den die dänischen Wissenschaftler ein erheblich erhöhtes Darmkrebs-Risiko finden konnten (s. Tabelle). Solange die Politik an dieser Stelle nicht reagiert, hilft nur ein Blick in die Analysenergebnisse des lokalen Trinkwasserversorgers – mit entsprechenden Konsequenzen. Die Reduktion der Nitrat-Zufuhr über das Trinkwasser sollte damit in das wirksame Konzept zur Darmkrebsprävention integriert werden.
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Sie wissen aber, dass der Mensch das meiste Nitrat durch GEMÜSE aufnimmt?
Was ist das für ein polarisierender Artikel?
Manchmal könnte man gerade meinen, die Autoren diverser Artikel beleuchten immer alles einseitig. Ihr gehört da mit dazu!
Grundsätzlich haben Sie natürlich Recht, dass Gemüse eine relevante Nitratquelle ist. Gerade deshalb gibt es z.B. von Verbraucherzentralen und Behörden Empfehlungen, wie die Nitrataufnahme aus Gemüse reduziert werden kann (https://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/chemie/kontaminanten/nitrat/). Auch Bio-Gemüse enthält tendenziell weniger Nitrat als Gemüse aus konventioneller Landwirtschaft. Daneben ist ein anderer Punkt wichtig: Gemüse enthält antioxidative Substanzen, die die Bildung der krebserregenden Nitrosamine unterdrücken – Wasser enthält diese schützenden Substanzen nicht. Deshalb ist die Nitratwirkung aus Trinkwasser vermutlich kritischer als die aus Gemüse.
Der Bericht ist sehr gut, jedoch muss ich anmerken, dass Nitrat auch auf Fäkalien durch Einleitung von Kläranlagen zurückzuführen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Kick
Sehr guter Bericht. Bringt es wirklich auf den Punkt.
Danke.
Es ist letztlich noch die Macht des Geldes, die viele Landwirte trotz bester Bildung verleitet, möglichst viel Ertrag zu erzielen. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass bei diversen Bauernstammtischen allein der monetäre Gewinn zählt. Der Bauernverband spielt da eine üble Rolle. Er hat nämlich “Angst” wenn weniger gedüngt wird, so habe ich es gelesen.
Grenzwerte werden möglichst hoch gesetzt, um den Bürger zu beruhigen, und weil der Kapitalismus zu keinen Verbesserungen für Mensch und Natur in der Lage ist.
Es stimmt, dass es noch kaum bekannt ist, dass es einen nennenswerten Zusammenhang zwischen einer hohen Nitratkonzentration im Trinkwasser und dem Risiko für Darmkrebs gibt. Grundsätzlich ist es wichtig, dass bestimmte Symptome, die im schlimmsten Fall auf Darmkrebs zurückzuführen sind, nicht ignoriert werden. Neben anhaltenden Verdauungsproblemen gehört auch Blut im Stuhlgang zu den Symptomen, weshalb Betroffene unbedingt einen Arzt aufsuchen sollten.