Neue Studie: Adipositas als Risikofaktor für Darmkrebs stark unterschätzt
Adipositas ist ein Risikofaktor für viele Krebsarten – auch für Darmkrebs. Die Größenordnung dieses Zusammenhangs wurde bisher aber wohl unterschätzt. Aktuelle Studienergebnisse des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) liefern neue Erkenntnisse und zeigen, wie sich das Darmkrebsrisiko senken lässt. Von Helene Tiefenbach.
Darmkrebs: erhöhtes Risiko durch Übergewicht und Adipositas
Laut DKFZ weisen Menschen mit Übergewicht im Vergleich zu Normalgewichtigen ein erhöhtes Risiko für Darmpolypen auf. Zunächst sind diese Polypen zwar gutartig und verursachen keine Beschwerden. Doch je stärker sie wachsen, desto größer ist das Risiko, dass sich die Polypen zu bösartigem Darmkrebs entwickeln. Beunruhigend sind dazu die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach ein Drittel der Weltbevölkerung von Übergewicht und Adipositas (Fettleibigkeit) betroffen ist (Mandic et al. 2023). Und mit dem Körpergewicht steigt auch das Risiko für Darmpolypen als Krebsvorstufe.
Der Übeltäter: Das Fettgewebe – vor allem die Fettzellen des Bauchfetts. Sie sind besonders stoffwechselaktiv und produzieren neben verschiedensten Hormonen (Adipokine, Östrogene) auch Wachstumsfaktoren und Botenstoffe. Diese senden Signale in den Körper und setzen Stoffwechselwege in Gang, die zur Entstehung von Krebs beitragen. Mit Blick auf die Adipositas bedeutet das: Je mehr Fettzellen, desto höher ist die Produktion solcher Stoffe. Krebsfördernde Prozesse werden also geradezu angefeuert. Darüber hinaus zeigt sich besonders für die Adipositas eine chronische Entzündung im ganzen Körper (systemische Entzündung), die nach aktuellen Erkenntnissen ebenfalls die Krebsentstehung fördert.
Wichtiger als bisher angenommen: Der Gewichtsverlust vor der Diagnose
In früheren Studien, die sich mit dem Zusammenhang von Übergewicht und Darmkrebs befassten, wurde meist nur das Körpergewicht zum Zeitpunkt der Diagnose untersucht. „Das hat dazu geführt, dass der Risikobeitrag von Übergewicht in vielen Studien deutlich unterschätzt worden ist.“, so Hermann Brenner, Epidemiologe und Präventionsexperte am DKFZ (Deutsches Ärzteblatt 2023).
Denn bislang unbeachtet: Der Gewichtsverlust vor der Darmkrebsdiagnose. Dabei durchläuft Darmkrebs eine etwa drei bis sechs Jahre andauernde präklinische Phase, die häufig mit einem ungewollten Gewichtsverlust bei Betroffenen einhergeht. Studien, die sich also nur auf das erfasste Körpergewicht kurz vor oder nach Diagnosezeitpunkt konzentrierten, vernachlässigten möglicherweise eine bereits vorliegende krebsbedingte Gewichtsabnahme.
Ausweitung der Beobachtungszeit liefert neue Erkenntnisse
Aktuelle Studienergebnisse des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) liefern hier neue Erkenntnisse. In einer Fall-Kontroll-Studie gingen Forschende des DKFZ der Frage nach, inwieweit sich der Gewichtsverlust vor der Darmkrebsdiagnose auf den Zusammenhang von Übergewicht, Adipositas und Darmkrebsrisiko auswirkt.
Dazu wurden Daten der DACHS-Studie ausgewertet, eine 2003 gestartete bevölkerungsbasierte Betrachtung zu Darmkrebs mit fast 12.000 Studienteilnehmern. Untersucht wurden dabei Patienten mit einer bestätigten Erstdiagnose von Darmkrebs sowie einer vergleichbaren Kontrollgruppe aus zufällig gewählten Personen. Zum Studieneintritt wurden Angaben zum aktuellen Gewicht und zur Größe aller Teilnehmer festgehalten. Um jedoch den prädiagnostischen Gewichtsverlust zu berücksichtigen, wurden Studienteilnehmer zu Gewicht und Gewichtsveränderungen der vergangenen zwölf Jahre befragt.
Die Analyse der Daten zeigte ein interessantes Ergebnis: Während das Körpergewicht zum Zeitpunkt der Diagnose kein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Darmkrebsrisiko zeigte, kamen die Forscher zu einer ganz anderen Schlussfolgerung, wenn sie das frühere Körpergewicht der Studienteilnehmer in ihre Analyse miteinbezogen. Besonders deutlich zeigte sich ein Zusammenhang von Übergewicht und Darmkrebsrisiko etwa acht bis zehn Jahre vor Diagnose. Patienten, die in diesem Zeitraum von Übergewicht betroffen waren, erkrankten mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit an Darmkrebs wie Normalgewichtige.
Ungewollter Gewichtsverlust als neuer Biomarker?
Zusätzlich erkannten Forscher einen weiteren Trend: Viele der an Darmkrebs erkrankten Personen berichteten von einer ungewollten Gewichtsabnahme in den Jahren vor ihrer Darmkrebsdiagnose. Insgesamt kam dieser prädiagnostische Gewichtsverlust von etwa zwei Kilogramm oder mehr innerhalb von zwei Jahren vor der Diagnose bei Darmkrebsbetroffenen deutlich häufiger vor als bei Personen der Kontrollgruppe. „In diesem Zeitraum ist der Krebs schon da, aber noch nicht durch Symptome aufgefallen. Hausärzte sollten ihre Patienten daher regelmäßig nach unbeabsichtigtem Gewichtsverlust fragen“, so Brenner (Deutsches Ärzteblatt 2023).
Auch die neue Studie hat Schwächen
Aber auch diese breit aufgestellte Studie hat gewisse Schwächen. Die Datensammlung zum Körpergewicht basierte lediglich auf der Erinnerung der Probanden. Selbst wenn man sich an das Gewicht aus dem zurückliegenden Jahr vielleicht noch erinnern mag, sieht es bei dem Gewicht im letzten Jahrzehnt schon deutlich schwieriger aus. Solche vagen Erinnerung an das Gewicht könnten die Ergebnisse verzerren.
Ähnliche Verzerrungen könnten außerdem durch die Auswahl der Studienteilnehmer entstehen. Dabei berichten die Forschenden selbst: Personen der Fallgruppe hätten unter anderem häufiger einen niedrigeren Bildungsstand, waren aktive Raucher und tranken mehr Alkohol.
Für die Interpretation der Studienergebnisse sollte auch ein Blick auf das Alter der Studienteilnehmer geworfen werden. Die Altersgrenze der Befragten lag dabei bei mindestens 30 Jahren, wodurch sich im Datensatz eine Altersspanne von 20 bis 80 Jahren ergab. Es bleibt also weiterhin unklar, wie sich Übergewicht in jungen Jahren auf das Darmkrebsrisiko auswirkt – eine dringende Frage, da immer mehr junge Menschen von Übergewicht und Adipositas betroffen sind.
Fazit: Ungewolltem Gewichtverlust nachgehen – besser Vor- als Nachsorgen
Die Studie zeigt: Übergewicht und Adipositas sind bisher weit unterschätzte Risikofaktoren für das Darmkrebsrisiko. Das heißt: Prävention von Übergewicht und Adipositas ist gleichzeitig Darmkrebsprävention. Und auch wenn sich adipöse Menschen vielleicht freuen, auf einmal ohne Lebensstiländerung spontan Gewicht zu verlieren: Dies ist ein Alarmzeichen, das ärztlich abgeklärt werden sollte. Denn besonders für Darmkrebs gilt: Vorsorge und Früherkennung retten Leben – und: eine wirksame Prävention auch über die Ernährung ist möglich.
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