Omi, ich bin jetzt vegan!
Mit 72 noch mal neu kochen lernen? Dieser Herausforderung stellte sich Ingeborg Teßmann, nachdem ihre Enkeltochter Angelique ihr offenbarte: „Omi, ich bin jetzt vegan!“ Aus anfänglicher Skepsis entstand beim gemeinsamen Experimentieren in der Küche ein einzigartiges Kochbuch mit veganen Rezepten deutscher Hausmannskost. Von Noreen Neuwirth.
Vegane Ernährung – vom Exoten zum Verkaufsschlager
Noch vor wenigen Jahren galt eine vegane Ernährung als besonders außergewöhnlich. Als kompliziert, etwas befremdlich und nicht alltagstauglich. Heute ist die pflanzliche Ernährung keine ausgefallene Ausnahme mehr. Pflanzenbasierte Alternativen sind nicht länger Nischenprodukte, die einzig in Reformhäusern geführt werden. Innerhalb der letzten Jahre haben sich vegane Lebensmittel vom Randprodukt zum Verkaufsschlager entwickelt. Pflanzlicher Käse, Milchalternativen oder veganes Fleisch, gar veganer Fisch – die Angebotspalette weitet sich mit rasanter Geschwindigkeit aus und die Discounter spiegeln den Boom pflanzlicher Alternativen, indem sie zunehmend Verkaufsflächen für die tierfreien Produkte zur Verfügung stellen.
Generationengefälle im Vegan-Trend
Der vegane Trend erfreut sich jedoch keiner generationsübergreifenden Beliebtheit. Es sind überwiegend die jüngeren Menschen zwischen 15 und 29 Jahren, die den Vegan-Boom ankurbeln. Ältere Menschen dagegen zeigen sich eher (noch) zurückhaltend und greifen seltener zu pflanzlichen Alternativen. Häufig fehlt ihnen die Aufklärung darüber, was mit einer veganen Ernährung überhaupt gemeint ist.
So erging es auch Ingeborg Teßmann, als ihre Enkelin Angelique ihr gestand: „Omi, ich bin jetzt vegan“. Nie zuvor hatte sich die heute 78-jährige mit der veganen Ernährungsweise auseinandergesetzt. Angelique erklärte ihr, dass mit vegan eine rein pflanzliche Ernährung gemeint ist, bei der auf tierische Produkte verzichtet wird. „Ohje!“ dachte Ingeborg Teßmann: „Jetzt bist Du 72 Jahre alt und sollst noch mal neu kochen lernen“. Schließlich war alles, was Angelique gerne bei ihr aß, mit Zutaten wie Eiern, Butter oder Milch gebacken oder gekocht, gab Ingeborg Teßmann zu bedenken. „Was soll ich denn jetzt noch kochen? Wie kann ich meiner Enkeltochter denn noch etwas Gutes zubereiten?“, fragte sich die Rentnerin und leidenschaftliche Hobbyköchin.
Aber nicht nur die praktische Umsetzung in der Küche bereitete ihr zunächst Kopfzerbrechen. Vor allem die Frage, ob das denn überhaupt gesund wäre, trieb sie um. Sie befürchtete, dass ihrer Enkelin durch die vegane Ernährungsweise viele Nährstoffe fehlen würden.
Vegan für Gesundheit und Tierwohl
Dabei waren es ausgerechnet die gesundheitlichen Absichten, die Angelique erstmals zur veganen Ernährung brachten. Ihre Migräneanfälle wurden seltener und sie fühlte sich besser denn je. Hinzu kam das Unverständnis über die Fleischindustrie. „Was da draußen passiert, war mir lange nicht so bewusst“, berichtet Angelique. Schnell stand für sie fest: „Egal, ob mir die pflanzliche Ernährung gesundheitlich helfen würde oder nicht – diese Industrie und Ausbeutung wollte ich nicht mehr unterstützen.“
Vegan heißt machmal auch kreativ werden
Einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln wieder zu erlernen, liegt auch Ingeborg Teßmann am Herzen. Sie erinnert sich an ihre Kindheit: „In der Nachkriegszeit kannten wir es nicht anders. Da konnten wir uns tierische Produkte nicht leisten und mussten erfinderisch werden. Aus wenig das Bestmögliche rausholen! Und uns fehlte damals auch nichts. Wieso sollte das heute anders sein?“
Veganisierung deutscher Hausmannskost
Nachdem die erste Skepsis überwunden war, ging es ans Experimentieren, denn eines war für Ingeborg Teßmann klar: geht nicht, gibt’s nicht! Strukturiert haben die beiden überlegt, wie man tierische Produkte durch pflanzliche ersetzen könnte und schließlich so lange ihre Lieblingsrezepte ausprobiert, bis der Braten, die Torte, die Knödel und Co. die richtige Konsistenz hatten. Gerade der Weihnachtsbraten war eine wahre Herausforderung, erzählen die beiden. Mit viel Humor und wenig Frust ist es dem generationsübergreifenden Küchenteam am Ende jedoch gelungen, die ganze Familie zu begeistern. Den veganen Schliff der Hausmannskost hat dabei niemand herausgeschmeckt.
Den Sonntagsbraten wieder neu erfinden
Besonders interessiert hat mich die Frage, ob Angelique ihre Oma auch dann zu einer veganen Ernährungsweise inspirieren kann, wenn sie nicht zu Gast am Esstisch sitzt. “Ich ernähre mich seitdem tatsächlich wieder bewusster“ antwortete Ingeborg Teßmann. „Wenn es nach mir ginge, würde ich noch mehr vegan zu Hause Kochen. Jedoch freut sich mein Mann schon ab und zu auf Mahlzeiten mit Fleisch. Und das ist ja auch voll in Ordnung. Es ist eben wichtig, bewusst einzukaufen. Früher war ja zum Beispiel der Sonntagsbraten auch etwas ganz Besonderes. Sollte es nicht jetzt auch so sein?“
Ihre Oma konnte Angelique mit der veganen Ernährungsweise jedenfalls anstecken und Ingeborg freut sich über die Begeisterung ihrer Freunde, die ihre leckeren veganen Kuchen und Torten immer probieren wollen und die selbst bei den deftigen Speisen keinen Unterschied zu vorher schmecken.
Angelique Vochezer „Omi, ich bin jetzt vegan! 72 vegane Rezepte für deine Lieblingsgerichte aus der Kindheit”, 1. Auflage, Allegria 2022. 22,99 EUR.
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Und wo sind die Warnung zur Mangelernährung? Wissenschaftler müssten doch überall etwa gleich vorsichtig sein. B12 Mangel bei veganer Ernährung ist von den meisten Wissenschaftler erkannt.