Mit Ballaststoffen gegen Schlaganfall
Ballaststoffe gehören zu den am meisten unterschätzen Nahrungsbestandteilen. Dabei sind sie gerade in pflanzlichen Lebensmitteln weit verbreitet. Ist unsere Ernährung ballaststoffreich, winken viele Gesundheitsvorteile. Eine neue Studie bestätigt: Je mehr Ballaststoffe wir aufnehmen, desto geringer ist das Risiko für Schlaganfälle.
Ballaststoffe: lange unterschätzt
Bereits der Name “Ballaststoff” ist irreführend, denn er suggeriert es Überflüssiges – Ballast eben. Historisch stammt dieser Begriff aus den Anfängen der Ernährungsforschung, als man dachte, Ballaststoffe seien ohne jeden Nutzen. Tatsächlich sind Ballaststoffe – anders als Eiweiße, Fette oder Kohlenhydrate – für den menschlichen Körper unverdaulich. Sie werden in Magen und Darm nicht in ihre Bestandteile zerlegt und aufgenommen. Doch in den vergangen Jahren wurde mit neuen Erkenntnissen immer deutlicher: Für unsere langfristige Gesundheit sind Ballaststoffe essenziell. Dabei entfalten sie ganz erstaunliche Wirkungen.
Positive Ballaststoff-Effekte nicht nur im Darm
Üblicherweise werden Ballaststoffe in lösliche und unlösliche Ballaststoffe unterteilt. Lösliche Ballaststoffe sind z. B. Pektin (in Fruchtfleisch), Inulin (in Gemüse), Betaglucane (in Hafer) und bestimmte Oligosaccharide (in Hülsenfrüchten). Unlösliche Ballaststoffe finden sich als Cellulose und Lignin in Getreiden und Hülsenfrüchten sowie als Chitin in Pilzen.
Was auf den ersten Blick deutlich wird: Ballaststoffe gibt es fast ausschließlich in pflanzlichen Lebensmitteln. Milch, Eier und Fleisch enthalten keine Ballaststoffe. Eine pflanzenbasierte Ernährung ist daher die wichtigste Grundlage für einen hohen Ballaststoffanteil. Doch worin bestehen die gesundheitlichen Vorteile?
Die positiven Effekte beginnen bereits in der Mundhöhle: Da ballaststoffreiche Lebensmittel stärker gekaut werden müssen, verlangsamen sie das Essen, was der Verdauung und vor allem der Sättigung zugutekommt. Durch ihr großes Volumen sorgen ballaststoffreiche Lebensmittel für ein langanhaltendes Sättigungsgefühl bei gleichzeitig sehr geringem Kaloriengehalt. Die wichtigsten Effekte entfalten die Ballaststoffe dann allerdings im menschlichen Darm.
Im Dickdarm befindet sich das Ökosystem unserer sog. “Darmflora”, also die Summe der Darmbakterien, die wegen ihrer Komplexität als “Mikrobiota” bezeichnet wird. Schätzungsweise zehnmal mehr Bakterienzellen als menschliche Körperzellen tragen wir in uns. Diese Darmbakterien verhindern die Ausbereitung schädlicher Erreger, erhalten die schützende Barrierefunktion der Darmschleimhaut und produzieren Botenstoffe, die unseren gesamten Stoffwechsel günstig beeinflussen.
Ballaststoffreiche Ernährung ist einfach
Ballaststoffe, die wir mit dem Essen aufnehmen, dienen diesen gesundheitsförderlichen Darmbakterien als Nahrung. Die Darmbakterien wandeln diese Ballaststoffe in sog. kurzkettige Fettsäuren um, die sowohl im Darm selbst als auch im gesamten Körper positive Effekte auslösen.
Eine ballaststoffreiche Ernährung reduziert das Risiko für…
- Darmkrebs – durch entzündungshemmende kurzkettige Fettsäuren, eine beschleunigte Passagezeit des Darminhalts und durch die Prävention von Übergewicht. Eine detaillierte Übersicht zur Prävention von Darmkrebs gibt es hier.
- Diabetes Typ 2 – durch die geringe Energiedichte und geringe glykämische Last ballaststoffreicher Lebensmittel, den verzögerten Insulinanstieg nach ballaststoffreichen Mahlzeiten sowie durch positive Effekte der kurzkettigen Fettsäuren auf den Zuckerstoffwechsel und die Insulinsensitivität der Körperzellen. Ohnehin bietet die Ernährungsmedizin eine wirksame Diabetes-Therapie.
- Herz-Kreislauf-Krankheiten – durch verbesserte Gewichtskontrolle, positive Wirkungen der kurzkettigen Fettsäuren auf den Energiestoffwechsel und die Blutgefäße, durch Hemmung der Cholesterolbildung in der Leber sowie durch Cholesterin- und Triglyzerid-senkende Wirkungen der Ballaststoffe.
Und es geht sogar noch weiter: Sinkt der Ballaststoffanteil in unserer Nahrung, erhalten die schützenden Darmbakterien weniger “Futter” mit gravierenden Konsequenzen: Einerseits beginnen die Darmbakterien unter diesen Bedingungen, die Schleimschicht auf der Darmschleimhaut abzubauen und als Substrat zu nutzen. Dadurch können Krankheitserreger leichter in den Körper eindringen. Andererseits vermehren sich die schützenden Darmbakterien bei ballaststoffarmer Ernährung schlechter, sodass Platz für krankmachende Bakterien entsteht und sich diese ausbreiten können.
Wie viel Ballaststoffe sollten wir essen?
Aufgrund dieser vielfältigen Gesundheitsvorteile empfehlen die verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften und Leitlinien eine Ballaststoff-Aufnahme von mindestens (!) 30 Gramm pro Tag. Doch 70 % der Deutschen erreichen selbst diese 30 Gramm nicht. Dabei geht es mit wenigen Grundregeln ganz einfach:
- Essen Sie pflanzenbasiert. Ballaststoffe finden sich fast ausschließlich in pflanzlichen Lebensmitteln und in Pilzen. Pflanzliche Lebensmittel sollten daher die Basis der Ernährung ausmachen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal (!) 600 Gramm Fleisch pro Woche – aus vielfachen Gründen.
- Wählen Sie immer die Vollkorn-Variante. Egal ob bei Nudeln oder Brot: die jeweilige Vollkorn-Variante enthält mehr Ballaststoffe.
- Essen Sie pro Tag eine Handvoll Nüsse. Nüsse sind eine hervorragende Ballaststoff-Quelle. Bevorzugen Sie ungesalzene Nüsse. Besonders hoch ist der Ballaststoff-Gehalt in Mandeln und Haselnüssen.
- Essen Sie mehrmals pro Woche Hülsenfrüchte. Hülsenfrüchte liefern sehr hochwertige Ballaststoffe. Hierzu gehören neben Bohnen, Linsen und Erbsen auch Kichererbsen und Sojabohnen. Inzwischen gibt es auch Brotaufstriche, Nudeln und weitere Produkte auf Hülsenfrucht-Basis.
- Ergänzen Sie die Mahlzeiten durch weitere Ballaststoff-Lieferanten. Sehr gute Quellen für Ballaststoffe sind Leinsamen, Flohsamenschalen, Weizenkleie und Kohlgemüse.
Aktuelle Studie: Mehr Ballaststoffe, weniger Schlaganfälle
Die Ergebnisse einer aktuellen Studie unterstreichen einmal mehr das präventive Potenzial einer ballaststoffreichen Ernährung. Jährlich erleiden etwa 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Innerhalb des ersten Jahres danach versterben ca. 25 % der Betroffenen, und mit einer Invaliditätsrate von ca. 30 % sind Schlaganfälle die häufigste Ursache für mittelschwere und schwere Behinderungen.
Viele Schlaganfälle könnten durch einfache Maßnahmen verhindert werden. Neben Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Übergewicht und Fettstoffwechselstörungen spielen Ernährungsfaktoren hierbei eine entscheidende Rolle. In einer Auswertung der sog. EPIC-Kohorte mit über 400.000 Teilnehmern aus neun europäischen Ländern untersuchten Wissenschaftler vom Nuffield Department of Population Health der Universität Oxford, welche Nahrungsfaktoren sich wie auf das Schlaganfallrisiko auswirken.
Dabei unterschieden sie zwischen den beiden Hauptformen des Schlaganfalls, dem ischämischen Schlaganfall (verursacht durch blockierte Blutgefäße) und dem hämorrhagischen Schlaganfall (verursacht durch Hirnblutungen). Die Studienergebnisse wurden am 24. Februar 2020 im European Heart Journal veröffentlicht und liefern die bisher umfassendsten Daten zu Ernährungseinflüssen auf das Schlaganfall-Risiko.
Insgesamt kam es bei den Studienteilnehmern während einer Beobachtungszeit von 12,7 Jahren zu 4.281 ischämischen und 1.430 hämorrhagischen Schlaganfällen. Der mit Abstand wichtigste Schutzfaktor aus der Ernährung waren: Ballaststoffe. So war jede zusätzliche Zufuhr von 10 Gramm Ballaststoffen pro Tag mit einer Risikoreduktion von 23 % verbunden (HR 0,77, 95% CI 0,69 – 0,86). Auf 1.000 Menschen berechnet bedeutet dies, dass in einem Zeitraum von 10 Jahren knapp 2 Schlaganfälle verhindert werden könnten (1,86). 10 Gramm Ballaststoffe sind beispielsweise in zwei Scheiben Vollkornbrot (7 g) und einer Portion Brokkoli (3 g) enthalten. Der Verzehr von 200 Gramm Gemüse und Obst pro Tag war mit einem um 13 % reduzierten Risiko für ischämische Schlaganfälle assoziiert (HR 0,87, 95 % CI 0,82 – 0,93).
Fazit: Es ist ganz einfach – und es schmeckt.
Wie immer liefern epidemiologische Beobachtungsstudien keine kausalen Zusammenhänge. Doch nimmt man alle Daten aus präklinischen Studien und Humanstudien zusammen, ergeben sich überzeugende Belege für die umfassenden Gesundheitsvorteile einer ballaststoffreichen Ernährung. Und das ist ganz einfach.
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Ich halte Ernährungsstudien, welche nicht zwischen Männern und Frauen unterscheiden, für nicht wirklich valide. 2/3 Drittel aller künstlichen Kniegelenke bekommen Frauen, da sie weniger Knorpel haben. Bei unseren Vorfahren waren die Männer die Jäger und Frauen haben gesammelt. Deswegen ist meine Hypothese, dass Männer mehr Fleisch brauchen (vertragen).
Na dann haben wir ja Glück dass Sie uns an ihren hochvaliden Evolutionsanalysen teilhaben lassen.
Der Denkfehler bei den meisten paläo-basierten Ernährungsempfehlungen liegt darin, dass es für unsere Vorfahren irrelevant war, ob ein Ernährungsweise langfristig gesund ist oder nicht.
Jäger und Sammler hatten andere Probleme als sich Gedanken darüber zu machen welche gesundheitlichen Probleme in einem Alter drohen, das keiner von ihnen erreicht hat; oberster Sinn und Zweck der Nahrung war es, möglichst viel Energie zu liefern.
Die heutige Ernährung soll anderes leisten und muss daher auch anders bewertet werden; sich an Menschen zu orientieren die selten das 30. LJ überschritten scheint mir aber wenig sinnvoll.
Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen 🙂
Lieber Herr Prof. Smollich – der Beitrag ist wie immer sehr informativ, dazu werden wir wieder einen Beitrag in unseren Gesundheitsmagazinen machen.
Elmar Straube
Hochinteressantes Wissen, vielen Dank!